Was sind dynamische Stromtarife und wie funktionieren Sie?
Dynamische Stromtarife sind an die Strombörse gekoppelt und haben einen variablen Strompreis. In der Regel ändert sich der Preis pro kWh stündlich und man kann den eigenen Stromverbrauch in besonders günstige Zeiten verlagern – zumindest in der Theorie… Lesen Sie hier, wann das Sinn macht und wann vielleicht auch nicht.
Laut einer Umfrage von Verifox wissen die meisten Menschen gar nicht, was dynamische Stromtarife überhaupt sind. Und das, obwohl Stromversorger mit mehr als 100.000 Kunden bereits heute und ab 2025 dann alle Stromversorger gesetzlich dazu verpflichtet sind, mindestens einen dynamischen Stromtarif anzubieten.
Um das zu verstehen, muss man sich den Strommarkt in Deutschland etwas genauer anschauen. Dieser ist vergleichbar mit dem Aktienmarkt, denn der Strom wird ebenfalls an der Börse gehandelt. Der Strommarkt ist allerdings unterteilt in drei verschiedene Teilmärkte, die in unterschiedlichen Zeitebenen gehandelt werden:
Terminmarkt: Ein klassischer Stromvertrag?
Der Terminmarkt ist im Prinzip das Äquivalent zu den klassischen Stromverträgen zwischen Verbraucher und Versorger. Hier wird weit im Voraus (bis zu 6 Jahre) eine gewisse Liefermenge an Strom für einen bestimmten Preis vereinbart. Das entspricht ja im Grunde genau dem Vertrag mit Ihrem Energieversorger, richtig? Zumindest wenn Sie noch keinen dynamischen Stromtarif haben, wird Ihr Strompreis immer für die nächsten 1-2 Jahre festgeschrieben. Sie wissen genau, wie viel Euro pro kWh Sie bezahlen und dieser Betrag ändert sich während der Vertragslaufzeit nicht.
Day-Ahead-Markt und Intraday-Handel für dynamische Stromtarife
Sowohl Day-Ahead-Markt als auch der Intraday-Handel eignen sich für dynamische Stromtarife. Derzeit basiert das meist auf dem Day-Ahead-Markt: Sie bekommen am Vortag mitgeteilt, was Sie am nächsten Tag zu bestimmten Zeiten für Ihren Strom bezahlen werden. Damit sind Sie (theoretisch) in der Lage, Ihren Stromverbrauch in besonders günstige Zeiten zu legen. Aber funktioniert das in der Praxis wirklich?
Vorteile von dynamischen Stromtarifen
- Einsparungen durch Lastverschiebung
- Förderung von Erneuerbaren Energien
- Entlastung der Stromnetze
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Einsparungen durch Lastverschiebung
Bei dynamischen Stromtarifen schwankt der Strompreis im Laufe des Tages. In der Regel kann man sagen: Je geringer der Gesamtstrombedarf in Deutschland und je mehr Erneuerbare Energien verfügbar sind, umso günstiger der Strom. Das führt dazu, dass z.B. nachts 3 Uhr (Windenergie) oder mittags 12 Uhr (Sonnenenergie) der Strompreis besonders günstig ist.
Wer es also schafft, große Lasten wie z.B. das Elektroauto oder die Wärmepumpe in Zeiten mit geringen Strompreisen zu verschieben, der profitiert am Ende von dynamischen Stromtarifen. In der Praxis ist das jedoch gar nicht so einfach und Besitzer von Photovoltaik-Anlagen produzieren sehr häufig zu Zeiten von günstigen Strompreisen ihre eigene, quasi kostenlose Energie auf dem Dach. Darauf gehen wir aber bei den Nachteilen von dynamischen Stromtarifen noch einmal genauer ein.
Förderung von Erneuerbaren Energien
Ist besonders viel Wind- oder Sonnenenergie im Netz, dann ist der Strom meist besonders günstig. Das bedeutet, je mehr Erneuerbare Energien vorhanden sind, umso günstiger wird der Strom. Das kann so weit führen, dass der Preis für eine Kilowattstunde in vereinzelten Fällen am Spotmarkt sogar mal negativ ist, d.h. unter 0,0 ct pro kWh kostet. Man bekommt also Geld dafür, wenn man Strom verbraucht. Klingt das nicht traumhaft?
Leider geht die Rechnung nur für Verbraucher auf. Betreiber von Solar- und Windparks können mit negativen Preisen natürlich nicht wirtschaften. Außerdem müssen die Übertragungsnetzbetreiber derzeit noch jede Menge Regelleistung in Form von Kohle- oder Gaskraftwerken vorhalten, um Zeiten mit wenig Wind- oder Sonnenstrom zu überbrücken. Die Lastverschiebung funktioniert bisher noch nicht in ausreichender Menge. Jeder Zubau von Erneuerbaren Energien führt entsprechend aktuell zwangsläufig auch zu einem Zubau von Kohle- und Gaskraftwerken. Ein negativer Strompreis kann und wird also volkswirtschaftlich nicht das Ziel sein! Bitte beachten Sie das, wenn Sie über potenzielle Einsparungen durch dynamische Stromtarife philosophieren!
Entlastung der Stromnetze
Generell kann man aber schon sagen, dass dynamische Stromtarife die Stromnetze entlasten. Denn wer einen solchen Tarif besitzt, der will die Lastverschiebung so optimal wie möglich vornehmen. Der Markt regelt sich über Angebot und Nachfrage also von selbst. Niemand möchte in Zeiten von Strompreisen über 75 ct pro kWh sein Elektroauto laden, oder?
Fazit: Wenn alle Menschen einen dynamischen Stromtarif besitzen würden und die Lastverschiebung technisch zuverlässig funktioniert, dann könnten die Stromnetze tatsächlich entlastet werden. Aktuell ist man mit einem dynamischen Stromtarif aber eher Pionier und der Zubau Erneuerbarer Energien erfordert immer mehr Regelleistung durch die Netzbetreiber.
Nachteile von dynamischen Stromtarifen
- Finanzielles Risiko durch unvorhersehbare Preisschwankungen
- Hoher Überwachungsaufwand trotz vermeintlicher Automation
- Garantieverlust bei einigen Herstellern
Finanzielles Risiko durch unvorhersehbare Preisschwankungen
Der Strompreis auf dem Spotmarkt unterliegt einer starken Schwankung. Das ist natürlich genau das, was man mit einem dynamischen Stromtarif ausnutzen möchte. Schaffen Sie das allerdings aufgrund eines mangelnden Lastmanagements nicht, müssen Sie den Strom ggf. zu sehr teuren Zeiten beziehen.
Die Waschmaschine oder Spülmaschine kann man sehr einfach in günstigen Zeiten betreiben. Auch das Laden des Elektroautos lässt sich bei guter Planung meist flexibel steuern. Aber was ist, wenn die Wärmepumpe im Winter das Haus heizen soll, jedoch gerade keine Sonne scheint und auch kein Wind weht?
Menschen mit eigener Photovoltaik-Anlage und angebundenen Speichersystem können das kurzzeitig aus dem Akku überbrücken. Eine typische Wärmepumpe in einem Einfamilienhaus braucht im Winter aber zwischen 20 und 40 kWh pro Tag. Der Speicher müsste also riesig sein und würde das System am Ende unwirtschaftlich machen. Erschwerend kommt hinzu, dass genau in Zeiten von günstigen Börsenpreisen auch die eigene PV-Anlage gerade produziert. Wohin also mit dem ganzen Strom? Irgendwann ist das Geschirr sauber, das Elektroauto geladen und das Haus warm. Wir möchten Sie nicht mit komplizierten Berechnungen langweilen. Bedenken Sie diese Punkte aber unbedingt bei der Entscheidung für oder gegen einen dynamischen Stromtarif.
Das Risiko unvorhersehbar hoher Kosten trägt bei klassischen Stromtarifen immer der Energieversorger. Im Falle von dynamischen Stromtarifen geht das Risiko 1:1: an Sie über. Auch wenn manche Anbieter von dynamischen Stromtarifen ebenfalls einen bestimmten Preis je kWh garantieren, so ist das meist an einige Bedingungen und / oder eine bestimmte maximale Strommenge geknüpft, mit der man in der Regel nicht ganz auskommt. Darüber hinaus zahlen Sie die Mehrkosten aus eigener Tasche. Lesen Sie also bitte immer das Kleingedruckte!
Hoher Überwachungsaufwand trotz vermeintlicher Automation
Oft wird versprochen, dass das Energiesystem vollständig automatisch funktioniert und Sie sich in Kombination mit dem dynamischen Stromtarif um nichts kümmern müssen. Häufig ist das jedoch ein Trugschluss. Hier einige Argumente, die dagegen sprechen:
- Wird das Lastmanagement im Bundesdurchschnitt besser und immer mehr Menschen nutzen entsprechend dynamische Stromtarife, reduzieren sich zwangsläufig die Schwankungen der Strompreise (was grundsätzlich sehr gut für das Netz ist). Damit sinken aber möglicherweise auch die finanziellen Vorteile von dynamischen Stromtarifen. Mindestens der Anbieter der Steuerungshardware muss hier also permanent für Updates sorgen und Sie müssen sicherstellen, dass dies zu jeder Zeit funktioniert.
- Der Anbieter des dynamischen Stromtarifs müsste Sie komplett überwachen, um eine valide Aussage hinsichtlich der Priorisierung der Lasten bzw. Entscheidung PV-Strom vs. Netzstrom treffen zu können:
- Wann haben Sie den nächsten (Außen-)Termin und wie weit ist dieser entfernt, um genügend Reichweite in das Elektroauto zu laden?
- Wie viel Temperatur hat der Pufferspeicher der Heizung und welche Temperatur haben die Raumthermostate?
- Möchten Sie heute Abend ein Bad nehmen oder sind Sie vielleicht sogar außer Haus?
- Stapelt sich das dreckige Geschirr schon in der Spüle oder kann der Geschirrspüler noch einen Tag warten?
Rein theoretisch ist das natürlich möglich. Aber niemand wird wohl gern so intensiv überwacht werden wollen und es muss entsprechend manuelle Eingriffsmöglichkeiten geben. Somit verfolgen Sie am Ende doch den Spotmarkt selbst und entscheiden, wann die Waschmaschine am sinnvollsten laufen kann.
Es verändern sich Dinge in Ihrem Leben. Eventuell erwerben Sie ein Elektroauto (was Sie vorher nicht hatten), Sie bauen Ihre Ölheizung auf Wärmepumpe um, Ihre Kinder ziehen aus, Sie errichten einen Pool, eine Sauna usw. Das sind alles Dinge, die in der Steuerung berücksichtigt werden müssen. Selbst wenn der Algorithmus mit Hilfe künstlicher Intelligenz aus historischen Daten lernt, müssen Sie ihn bei Veränderungen zunächst mit neuen Parametern „füttern“.
- Sie benötigen kompatible Geräte. Das bedeutet in der Regel, Sie müssen immer die neuste Technik besitzen. Kommuniziert z.B. die Wärmepumpe nicht ausreichend mit der Steuerung, können Sie bestimmte Automatisierungen nicht nutzen.
Aus unserer Sicht sind dynamische Stromtarife eher etwas für technisch versierte / interessierte Menschen. Man sollte wissen, wodurch man seinen Strompreis beeinflussen kann und sich nur bedingt auf Automatismen verlassen.
Garantieverlust des Batteriespeichers
Bei der Nutzung von dynamischen Stromtarifen kommt man sehr schnell auf die Idee, den Batteriespeicher zu günstigen Zeitpunkten aus dem Netz zu laden. Aber Vorsicht: Der Strombezug einer Batterie aus dem öffentlichen Netz kann die Herstellergarantie beeinträchtigen! Herstellergarantien enthalten in der Regel bestimmte Bedingungen und Einschränkungen, die die Verwendung des Batteriespeichers regeln. Wenn der Strombezug aus dem öffentlichen Netz entgegen den Vorgaben des Herstellers erfolgt, könnte dies die Garantieansprüche beeinträchtigen. Lesen Sie also genau!
Was mindestens aber durch die Ladung aus dem öffentlichen Netz passiert, ist eine häufigere Be- und Entladung des Speichers als bei der reinen Nutzung durch die Photovoltaik-Anlage. Entsprechend gibt es mehr Ladezyklen je Zeiteinheit und die Lebensdauer (gemessen in Jahren) des Batteriespeichers sinkt.
Auch der Gesetzesrahmen ist aus unserer Sicht eher schwierig. In einem Hinweis von der Bundesnetzagentur wird gesagt, dass man den Status der EE-Anlage verliert, wenn man den Stromspeicher mit Strom „verunreinigt“, der nicht aus Erneuerbaren Energien stammt:
"Ein Stromspeicher, der – ungeachtet technisch unvermeidbarer Geringverbräuche – zumindest zeitweise während des Kalenderjahres auch Nicht-EE-Strom zur Einspeicherung verbraucht hat, gilt für das gesamte Kalenderjahr nicht als EE-Anlage im Sinne des § 3 Nr. 1, 2. Hs. EEG"
Bundesnetzagentur, EE-Stromspeicher: Registrierungspflichten, Amnestie, Förderung und Abgrenzung Version 1.1
Generell muss man sagen, dass sich die Ladung des Speichers aus dem öffentlichen Netz immer weniger lohnt, je besser die Lastverschiebung wird und somit die Schwankungen der Strompreise sinken. Natürlich wäre die Nutzung von Batteriespeichern auch ein Baustein zur Lastverschiebung, aber es ist immer besser den Strom direkt zu verbrauchen. Das zeigt auch folgendes Video:
Quelle: Youtube, Kanal von gewaltig nachhaltig
Fazit zu dynamischen Stromtarifen
Dynamische Stromtarife versprechen Kostenersparnisse in Niedrigpreiszeiten, bringen aber auch Unvorhersehbarkeit und Preisschwankungen mit sich. Überlegen Sie also genau: Passt ein dynamischer Stromtarif zu Ihrem Lebensstil und Ihrer Risikobereitschaft? Wir beraten Sie gern!